Begegnung mit dem Teufel / Encounter with the devil

13. Türchen des musikalischen Adventskalenders: Nudozurdo: El diablo fue bueno conmigo (Der Teufel war gut zu mir)

Zugegeben: Vor der Begegnung mit dem Teufel hatte ich schon ein wenig Bammel. Er hat sich aber eher benommen wie meine Oma und sich beschwert, dass ich ihn so selten besuche.

Eine Adventsmeditation über den Satan? Etwas Unpassenderes scheint es kaum zu geben.
Bei genauerem Hinsehen ist das allerdings nicht ganz so widersinnig, wie es auf den ersten Blick erscheint. Denn auch hier ist wieder zu bedenken: Die Wege des Herrn sind unergründlich.
Nehmen wir zum Beispiel das Buch Hiob. Hier fällt zunächst einmal auf, dass der Satan keineswegs in der Hölle sitzt. Es handelt sich bei ihm vielmehr um einen Engel, der seinen Platz ganz selbstverständlich im Himmel, an der Seite Gottes, hat. Gut, er ist vielleicht ein etwas „dunklerer“ Engel als die anderen, und er macht der hebräischen Bedeutung seines Namens alle Ehre, indem er sich als „Gegner“ der Menschen zu erkennen gibt. Vehement bezweifelt er vor Gott die Treue von dessen Lieblingsgeschöpfen gegenüber ihrem Vater im Himmel. Sobald dieser nicht mehr das Füllhorn seiner Gaben über sie aus-schütte und sie in Not geraten lasse, würden sie sich von ihrem Schöpfer ab-wenden.
Wir alle wissen, was danach passiert ist. Der arme Hiob muss als Gegenstand einer Wette zwischen Gott und seinem dunklen Engel herhalten. Er muss allerlei Plagen und Entbehrungen ertragen, und in der Tat gerät er dabei auch immer wieder in höchste Gewissensnöte und zweifelt an der Güte und Allmacht des Allerhöchsten. Am Ende aber hält er diesem doch die Treue.
So erweist der Satan sich hier letztlich gerade als Beförderer des göttlichen Heilsplans. Denn erst durch die Versuchungen und Prüfungen, die er den Menschen auferlegt, zeigt sich die ganze Kraft des menschlichen Geistes, der sich gegen alle Anfechtungen in seiner Autonomie behaupten kann.
Auch wenn wir den Teufel in seiner luziferischen Gestalt betrachten, ist er im Endeffekt nur ein besonderes Werkzeug in der Hand Gottes. Dies zeigt schon sein Name, der sich aus lateinisch „lux“ (Licht) und „ferre“ (tragen/bringen) zusammensetzt.
Als Wesen, das den Menschen das Licht bringt, erstaunt es sogar, dass Luzifer der Sphäre des Diabolischen zugerechnet werden soll. Dass das Licht der Vernunft etwas „Entzweiendes“, „Verwirrendes“ an sich haben kann – „diabolisch“ ist eine Wortzusammensetzung aus griechisch „dia“ (auseinander) und „ballein“ (werfen, stellen) –, liegt jedoch in der Natur des Erkenntnisprozesses. Denn dieser zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass Dinge, die zuvor als selbstverständlich hingenommen wurden, genauer unter die Lupe genommen werden. Dabei zerbrechen alte Selbstverständlichkeiten, und es entsteht oft ein Zustand der Verwirrung. Am Ende aber erscheint alles nicht selten in einem neuen, klareren Licht – so dass sich der Teufel auch in seiner luziferischen Gestalt im Endeffekt als Diener Gottes und der Menschen erweist.
Der Satan mag damit zwar, der Bedeutung seines Namens entsprechend, ein „Gegenspieler“ Gottes und seiner Schöpfung sein – ein Feind aber ist er nicht. Vielmehr ist er Antagonist in dem Sinne, dass er die Dynamik der Schöpfung durch notwendige Gegenbewegungen vorantreibt.
Der 2011 veröffentlichte Song El diablo fue bueno conmigo (Der Teufel war gut zu mir) der spanischen Band Nudozurdo öffnet den Blick ebenfalls für die vermeintlich „dunkle“ Welt des Satanischen. Die besondere Pointe des Songs ist dabei, dass der Teufel hier selbst das Wort ergreift.
In dem Lied verhehlt der Teufel zwar nicht, dass er, als Vertreter der dunklen Seite des Lebens, mit dem Tod im Bunde steht und deshalb nicht einfach ein Begleiter wie jeder andere ist. Gleichzeitig gibt er jedoch zu bedenken, dass er selbst ein Teil jedes Menschen ist, so sehr man die von ihm repräsentierte Realität auch zu verdrängen versuche. Diese ist, wie er hervorhebt, keineswegs nur negativ zu sehen. Ihre Vorzüge bestünden nicht nur in der (ekstatischen) Liebe und der Eröffnung neuer Perspektiven auf die Welt, sondern manifestierten sich auch in der Kraft der Vergebung, die im „gleißenden Licht“ der Vernunft unmöglich erscheine.
Überhaupt präsentiert der Teufel sich in dem Song als eine Art Gegenentwurf zur hellen Vernunftwelt, als Inkarnation einer Traumwelt, die als notwendige Ergänzung zu Letzterer erscheint. Dadurch, dass er sich zu Beginn des Liedes selbst als „Ungeheuer“ beschreibt, ergeben sich auch Bezüge zu dem berühmten Gemälde „El sueño de la razón produce monstruos“ (Der Schlaf/Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer) des spanischen Malers Francisco de Goya. Ausgehend von dem Lied könnte man das Bild so deuten, dass die Vernunft zwar nicht schlafen darf, wohl aber dem Traum Freiräume lassen sollte, da sie an-sonsten Gefahr läuft, zu erstarren und in der Folge erst recht von den „Ungeheuern“ des Irrationalen überwältigt zu werden.
Die Beschwörung der Traumwelt als eines notwendigen Korrektivs zur vernunftgesteuerten Alltagswelt – die der Song musikalisch durch ausgesprochen meditative Klangsequenzen umsetzt – impliziert damit stets auch Kritik an einer Gesellschaft, die durch die Verdrängung der „dunklen“ Seite des Lebens dazu tendiert, inhuman zu werden. Dies geschieht zum einen dadurch, dass die Verdrängung mit Projektionsprozessen einhergeht, durch die das Verdrängte mit konkreten Menschen (Behinderten, Fremden, Alten …) assoziiert und an und mit diesen abgelehnt wird. Zum anderen begünstigen die Verdrängungsprozesse aber auch eine auf Effizienz und Funktionalität getrimmte Organisation des sozialen Alltags, in der alle nicht zweckgerichteten Aktivitäten (Spiele, Tagträume, Meditationen …) mit dem Stigma des Müßiggangs belegt werden.

Nudozurdo: El diablo fue bueno conmigo;(aus: Tara Motor Hembra, 2011)

Albumfassung

Live-Aufnahme mit Cello und Viola / Liedtext (2012)

Freie Übersetzung

Der Teufel war gut zu mir

Vielleicht bin ich ein Monster, das du nicht küssen möchtest.
Vielleicht gleiche ich dir aber auch im Innern.
Ich weiß, dass es viele Dinge gibt, die du ausprobieren möchtest,
aber [in mir] verpasst du etwas ganz Besonderes.

Das gleißende Licht, das nicht vergeben kann …
Sag mir, mit welchen Worten man mich beschwören muss.
Ich weiß, dass du mich nicht mitnehmen kannst,
aber du weißt nicht, wozu ich fähig bin:

Fähig zu lieben,
fähig zu geben,
uns in den Schoß der Erde zu bringen,
atemlos.
Im Grunde warst du ohnehin schon
weit weg vom Lärm der Welt,
ganz ohne dein Zutun.

Fähig zu lieben,
fähig zu geben,
uns in den Schoß der Erde zu bringen,
atemlos.

Mehr Musik aus Spanien: Sueños españoles. Träume und Visionen in der spanischen Independent-Musik

Ausführliches Essay zum „Satanischen“: Von lichter Finsternis und finsterem Licht. Was Teufel, Satan und Luzifer für uns bedeuten

English Version

Encounter with the devil

13th door of the musical Advent Calendar: Nudozurdo: El diablo fue bueno conmigo (The devil was good to me)

To be honest, I was a bit scared before meeting the devil. However, he behaved more like my grandma and complained that I would visit him too rarely.

An Advent meditation on Satan? There hardly seems to be anything more inappropriate.
On closer inspection, however, this is not quite as absurd as it appears at first glance. For here, too, we must remember: the ways of the Lord are inscrutable.
Let us take the Book of Job, for example. The first thing that stands out here is that Satan is not in hell at all. Instead, he is an angel who naturally has his place in heaven, at God’s side. Admittedly, he is perhaps a somewhat „darker“ angel than the others, and he lives up to the Hebrew meaning of his name by revealing himself as an „adversary“ of mankind. He vehemently doubts the faithfulness of God’s favourite creatures towards their Father in heaven. As soon as he would stop pouring out the cornucopia of his gifts on them and let them get into trouble, they would turn away from their Creator.
We all know what happened next. Poor Job has to serve as the object of a wager between God and his dark angel. He has to endure all kinds of plagues and deprivations, and in fact he repeatedly gets into the greatest trouble of conscience and doubts the graciousness and omnipotence of the Most High. In the end, however, he remains faithful to him.
Thus Satan ultimately proves to be a promoter of the divine plan of salvation. For it is only through the temptations and trials he imposes on human beings that the full power of the human spirit is revealed, which is able to assert its autonomy against all temptations.
Even if we consider the devil in his Luciferian form, he is in the final analysis only a special tool in the hand of God. This already emerges from his name, which is composed of the Latin „lux“ (light) and „ferre“ (to carry/bring).
As a being who brings light to mankind, it is even surprising that Lucifer should be assigned to the sphere of the diabolical. However, the fact that the Light of Reason can have something „divisive“, „confusing“ about it – „diabolic“ is a compound word from the Greek „dia“ (apart) and „ballein“ (to throw, to place) – is inherent in the process of cognition. After all, this process is characterised by the fact that things that were previously taken for granted are scrutinised more closely. As a result, seemingly self-evident truths are shattered and a state of confusion may arise. In the end, however, everything frequently appears in a new, clearer light – so that the devil, even in his Luciferian form, ultimately proves to be a servant of God and mankind.
Satan may thus be, according to the meaning of his name, an „adversary“ of God and his creation – but he is not an enemy. Rather, he is an antagonist in the sense that he drives the dynamics of creation forward through necessary counter-movements.
The song El diablo fue bueno conmigo (The devil was good to me) by the Spanish band Nudozurdo, published in 2011, also opens our eyes to the supposedly „dark“ world of the Satanic. The special punch line of the song is that the devil himself takes the floor here.
In the song, the devil does not hide the fact that he, as a representative of the dark side of life, is in league with death and is therefore not just a companion like any other. At the same time, however, he points out that he himself is a part of every human being, no matter how much people try to suppress the reality he represents. This reality, he emphasises, is by no means to be seen only negatively. Its advantages do not only consist in (ecstatic) love and the opening of new perspectives on the world, but also manifest themselves in the power of forgiveness, which seems impossible in the „glaring light“ of rationality.
Indeed, the devil presents himself in the song as a kind of antithesis to the bright world of reason, as the incarnation of a dream world that appears as a necessary complement to the latter. The fact that he describes himself as a „monster“ at the beginning of the song also suggests references to the famous painting „El sueño de la razón produce monstruos“ (The sleep/dream of reason creates monsters) by the Spanish painter Francisco de Goya. Based on the song, the painting could be interpreted in such a way that although reason must not sleep, it should nevertheless leave room for the dream. Otherwise, it runs the risk of freezing and subsequently being overwhelmed by the „monsters“ of the irrational.
The evocation of the dream world as a necessary corrective to the rationally controlled everyday world – which the song musically implements through distinctly contemplative sound sequences – hence also implies criticism of a society that tends to become inhumane through the repression of the „dark“ side of life. This happens, firstly, because repression is accompanied by projection processes through which what is repressed is associated with concrete people (the disabled, strangers, the elderly …) and is rejected in and with them. Secondly, the processes of repression also favour an organisation of everyday social life that is trimmed to efficiency and functionality, a life in which all activities that are not purpose-oriented (games, daydreams, meditations …) are given the stigma of idleness.

Nudozurdo: El diablo fue bueno conmigo; (from: Tara Motor Hembra, 2011)

Album version

Live version with cello und viola / Lyrics (2012)

Free translation

The devil was good to me

Maybe I’m a monster you don’t want to kiss.
But I might also be like you on the inside.
I know there are many things you want to explore,
but [without me] you will miss something very special.

The glaring light that cannot forgive …
Tell me the words you can conjure me with.
I know you can’t take me with you,
but you do not know what I am capable of:

Capable of loving,
capable of giving,
of bringing us into the bosom of the earth,
out of breath.
Basically you were already
far away from the bustle of the world,
without any effort on your part.

Capable of loving,
capable of giving,
of bringing us into the bosom of the earth,
out of breath. 

Bilder /Pictures: Gustave Doré (1832 – 1883): Paradise Lost (Luzifer vom Himmel stürzend / Lucifer falling from heaven); illustration to John Milton’s epic poem Paradise Lost (1667); Wikimedia; Francisco de Goya (1746 – 1828): El sueño de la razón produce monstrous (Der Schlaf/Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer / The sleep/dream of reason creates monsters), 1797/98; Wikimedia

17 Antworten auf „Begegnung mit dem Teufel / Encounter with the devil

  1. Jakob

    Wow, das ist wirklich ein besonderer Text. Ich habe auch das ausführliche Essay auf Rotherbaron gelesen. Sehr spannende Zusammenhänge werden aufgezeigt. Mich erinnert das auch etwas an „teuflische“ Gestalten aus der Literatur: Goethes Mephisto: „ Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft….“. Bulgalows Volant: „ Sei so gut, darüber nachzudenken, was dein Gutes täte, wenn das Böse nicht wäre? Wie sähe die Erde aus, wenn alle Schatten verschwänden? Die Schatten kommen doch von den Wesen und Dingen. Willst du denn alle Bäume kahlscheren und alles Lebendige von der Erde entfernen, um dich am reinen, kalten Licht zu ergötzen.“? – Die Musik von Nudozurdo ist auch ganz exzellent! Hab einen schönen Advent mit oder ohne Teufel😈

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  2. wolkenbeobachterin

    Zitat aus Deinem Text: „Er hat sich aber eher benommen wie meine Oma und sich beschwert, dass ich ihn so selten besuche.“

    Vielen Dank für den Eingangs-/Einstiegslacher. Und noch größeren Dank für den überaus interessanten Text und die darin ausgeführten Gedanken.

    Und jetzt höre ich mir mal das Lied an.
    Einen schönen dritten Advent Dir, trotz allem.

    Liebe Grüße aus Berlin.

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  3. Spinnradl-Sabine

    Ich finde diese Zusammenhänge gut-böse, Gott-Teufel ebenfalls sehr interessant.
    Mir ist nach dem Lesen deines Textes (wie bei Jakob) Goethe eingefallen:
    „ Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft….“

    Und noch etwas anderes ist mir eingefallen – jeder Mensch trägt seine Schattenseiten mit sich herum, die jedoch nicht schlecht sein müssen. Sie können auch Kräfte in sich bergen, die bei der Bewältigung des Lebens helfen.
    Die schlechteste aller Lösungen wäre, diese Schattenseiten zu leugnen und zu unterdrücken.

    in diesem Sinne meinen Dank für die Inspiration in Text und Musik
    Liebe Grüße
    Sabine vom 🕷 🕸

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